Chronischer Schmerz und die Rolle des Nervensystems

Wenn der Schmerz bleibt - und wie wir unser Nervensystem unterstützen können 

Daniela, Mai 15, 2025

Chronische Schmerzen gehören zu den herausforderndsten Erfahrungen in unserem Leben. Sie beeinträchtigen nicht nur den Körper, sondern auch unsere Psyche, unsere Beziehungen und unseren Alltag. Viele Betroffene fühlen sich unverstanden, erschöpft und hilflos und dem Geschehen in ihrem Körper einfach machtlos ausgeliefert. Doch immer mehr wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen: Chronischer Schmerz ist kein reines „Körperproblem“, sondern er ist eng mit unserem Nervensystem verbunden.

In diesem Artikel schauen wir uns gemeinsam an, wie chronischer Schmerz entsteht, welche Rolle unser Nervensystem dabei spielt – und was wir selbst tun können, um den Schmerz besser zu regulieren und wieder mehr Lebensqualität zu gewinnen.

Was ist chronischer Schmerz?

Von chronischem Schmerz spricht man, wenn Beschwerden länger als drei bis sechs Monate anhalten – also weit über die normale Heilungszeit hinaus. Dabei kann es sich um Rücken-, Muskel-, Gelenk-, Kopf- oder Nervenschmerzen handeln, aber auch um sogenannte „funktionelle“ Beschwerden wie Reizdarm, Fibromyalgie oder Migräne.

Wichtig Fact am Rande: Unter chronische Schmerzen zu leiden bedeutet nicht, dass du dir als Betroffene etwas einbildest. Dein Schmerz ist real – aber er entsteht häufig nicht mehr nur durch eine akute körperliche Verletzung, sondern durch eine dauerhafte Veränderung im Schmerzgedächtnis und im Nervensystem.

Schmerz als Schutzfunktion – und wenn der Alarm nicht mehr ausgeht

Schmerz ist grundsätzlich eine lebenswichtige Funktion. Er signalisiert uns, wenn Gefahren drohen, wir also über unsere Grenzen gehen und schützt uns vor Verletzungen. Doch wenn der Körper wieder „heil“ ist, der Schmerz aber bleibt, kann das bedeuten: Der „Alarm“ des Nervensystems ist dauerhaft auf „rot“ gestellt – selbst wenn keine akute Gefahr mehr besteht.

Unser Nervensystem ist überreizt, in einem ständigen Alarmzustand. Man spricht von einer „Sensibilisierung des zentralen Nervensystems“. Das bedeutet: Schmerzreize werden stärker wahrgenommen, unsere Schmerzschwelle sinkt und harmlose Reize können als schmerzhaft erlebt werden.

Dadurch interpretiert unser Gehirn eine dauerhaft anhaltende Gefahr für uns und unseren Körper! Wir sind in einem Dauererregungszustand.

Die Rolle des Nervensystems

Unser autonomes Nervensystem – bestehend aus dem Sympathikus (Aktivierung, Stress = das Gaspedal unseres Körpers) und dem Parasympathikus (Ruhe, Regeneration= die Bremse unseres Körpers) – reagiert auf alles, was wir erleben: Stress, Überforderung, Traumata, chronische Anspannung oder emotionale Belastung können es aus dem Gleichgewicht bringen.

Ein dauerhaft aktivierter Sympathikus („Fight or Flight“) sorgt dafür, dass der Körper in Alarmbereitschaft bleibt. Muskeln verspannen sich, Schmerz wird intensiver empfunden, der Schlaf ist gestört – ein Teufelskreis entsteht.

Wenn unserem Sympathikus die Kraft ausgeht und er den aktivierten Fight or Flight-Modus nicht mehr aufrecht erhalten kann, dann geht ein dysreguliertes Nervensystem in den sogenannten „Freeze“-Modus, also ein Erstarren. Das kann bis zum Shutdown des gesamten Systems führen.

Diese Zustände sind typisch bei Menschen mit chronischem Stress oder unverarbeiteten Traumata, denn: Unser Körper will uns nur schützen! Unser Überlebenssytem möchte, dass wir in Sicherheit sind.

Die Polyvagaltheorie – Warum Sicherheit heilt

Der amerikanische Neurowissenschaftler Dr. Stephen Porges entwickelte die Polyvagaltheorie, die erklärt, wie unser Nervensystem auf Sicherheit oder Bedrohung reagiert. Besonders wichtig dabei ist: Der Vagusnerv, der größte Nerv des Parasympathikus, hat einen entscheidenden Einfluss auf unsere Fähigkeit zur Regeneration, auf Verdauung, Herzfrequenz – und auch auf unsere Schmerzverarbeitung.

Wenn wir uns sicher und verbunden fühlen, kann der ventrale Vagusnerv aktiv werden – wir kommen in einen Zustand von Ruhe, Regulation und Heilung. Fehlt dieses Gefühl von Sicherheit, bleibt unser Nervensystem im Überlebensmodus.

Was du tun kannst – Selbstregulation und Nervenfreundlichkeit

Auch wenn sich der Schmerz vielleicht nicht komplett „wegmachen“ lässt – du kannst lernen, dein Nervensystem zu regulieren, den Schmerz zu beeinflussen und neue Wege mit dir und deinem Körper zu finden.

Hier sind einige erste Schritte:

🌀 Achtsamkeit und Selbstwahrnehmung
Lerne, auf die Signale deines Körpers zu achten – ohne Bewertung. Wo sitzt der Schmerz? Wie verändert er sich? Welche Gefühle sind damit verbunden?

🌀 Atemübungen
Langsame, tiefe Bauchatmung beruhigt den Vagusnerv und signalisiert deinem Körper: Du bist sicher.

🌀 Sanfte Bewegung
Bewegung ohne Druck – wie achtsames Gehen, Yoga, Schwimmen oder Faszienübungen – kann die Schmerzverarbeitung positiv beeinflussen.

🌀 Körperorientierte Entspannung
Methoden wie Bodyscan, progressive Muskelentspannung oder somatische Übungen helfen, aus dem Alarmzustand herauszukommen.

🌀 Bindung & soziale Verbindung
Sichere, nährende Beziehungen aktivieren den ventralen Vagusnerv. Schon ein freundlicher Blick, eine Umarmung oder ein gutes Gespräch können heilsam wirken.

🌀 Traumasensibles Coaching oder Therapie
Gerade bei chronischen Schmerzen mit emotionalem oder traumatischem Hintergrund kann eine begleitende, traumasensible Arbeit helfen, Blockaden im Nervensystem zu lösen und wieder mehr Selbstwirksamkeit zu entwickeln.

Fazit: Schmerz verstehen – und sich selbst nicht aufgeben

Chronischer Schmerz ist eine komplexe Erfahrung, die nicht nur den Körper betrifft, sondern auch das Nervensystem, die Psyche und unser gesamtes Lebensgefühl. Aber: Wenn du lernst, dein Nervensystem besser zu verstehen und liebevoll zu regulieren, kann Heilung auf vielen Ebenen geschehen. Es geht nicht darum, perfekt zu „funktionieren“, sondern darum, dich wieder mit dir selbst zu verbinden – in all deiner Stärke, Verletzlichkeit und Menschlichkeit.

Du bist mehr als dein Schmerz.
Und du bist nicht allein.

Wenn du tiefer einsteigen möchtest oder dir eine individuelle Begleitung wünschst, findest du auf meiner Website Angebote rund um Selbstregulation, Achtsamkeit und traumasensibles Coaching

 

© Daniela Holzschuh, Heilpraktikerin (Psychotherapie)

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